Der BGH (Beschl. v. 02.03.2022) hat jüngst über die Frage entschieden, ob die im Rahmen von polizeilichen Abfangmaßnahmen in Frankreich erlangten Erkenntnisse aus Kommunikationskanälen, die mit der Verschlüsslungssoftware „EncroChat“ geführt wurden, in deutschen Strafverfahren verwertet werden dürfen und dies prinzipiell bejaht.
Hintergrund der sog. „EncroChats“:
Vor etwa zwei Jahren gelang es europäischen Ermittlern, sog. Encrochat-Chats auf Kryptohandys von Kriminellen zu „hacken“. Dabei konnten rund 20 Millionen geheime Chat-Nachrichten entschlüsselt werden. Solche verschlüsselten Chats galten in der Unterwelt bisher als besonders sichere Möglichkeit, um sich über illegale Geschäfte scheinbar gefahrenlos auszutauschen. Deswegen soll die Kommunikation zwischen den Beteiligten mitunter sehr offen geführt worden sein. Laut Erkenntnissen der Redaktion von beck-aktuell (becklink 2022941) seien Polizei und Justiz in Deutschland aufgrund dieses beachtlichen Ermittlungserfolges nunmehr mit einer schier unvorstellbaren „Datenflut“ konfrontiert. Alleine die Strafverfolgungsbehörden in Berlin müssten rund 1,6 Millionen Chatnachrichten von rund 750 Nutzern auswerten. Die Staatsanwaltschaft Berlin habe bereits in 40 Fällen Anklage erhoben. Weitere 100 Verfahren stünden noch bevor. Aber auch in Hamburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen seien zahlreiche Verfahren anlässlich der Erkenntnisse aus Frankreich anhängig. Ein Großteil der Ermittlungsverfahren soll Geschäfte im Zusammenhang mit Drogenhandel betreffen.
Entscheidung des BGH:
In der Zwischenzeit hat der BGH entschieden, dass solche Daten grundsätzlich in deutschen Strafverfahren verwertet werden dürfen. Der Senat stellte heraus, dass die Verwertung von Erkenntnissen aus dem Kernbereich privater Lebensführung zwar stets unzulässig sei, aber Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in einem Strafverfahren ohne Einwilligung des Betroffenen zur Aufklärung von schweren Straftaten verwendet werden dürften. Dabei richte sich die Frage, ob die im Wege der Rechtshilfe erlangten Erkenntnisse verwertet werden dürfen, nach den Vorgaben des nationalen Rechts, wohingegen sich die Rechtsmäßigkeit der eigentlichen Ermittlungshandlung an den Vorgaben des ersuchten Staates messen lassen müsste. Es sei hierbei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht erforderlich, dass die ausländische Ermittlungsmaßnahme auch auf deutscher Rechtsgrundlage möglich gewesen wäre.
Auswirkungen auf die Praxis:
Die Auswirkungen dürften (vor allem für die betroffenen EncroChat-Nutzer) gravierend sein. Der von der Redaktion beck-aktuell (becklink 2022941) befragte Berliner Landessprecher der Polizei, Benjamin Jendro, resümiert nicht umsonst, dass die abgeschöpften Chat-Nachrichten eine „wahre Goldgrube“ für die Ermittlungsarbeit der Polizei seien. Auch der Berliner Staatsanwalt Cloidt habe laut beck-aktuell festgestellt, dass die Daten oftmals für eine eindeutige Beweislage sorgen könnten. Da es der EU-Polizeibehörde Europol aktuell auch gelungen ist, in kriminellen Kreisen ebenfalls begehrte das Kommunikationsnetzwerk „Sky-ECC“ zu „hacken“, dürfte zukünftig mit einer Vielzahl an weiteren Verfahren zu rechnen sein. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist nunmehr mit Thematik befasst und wird im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zu entscheiden haben, ob sich die strafprozessuale Verwertbarkeit solcher Daten mit den Vorgaben der Verfassung vereinbaren lässt.
Sven Bornefeld
Rechtsanwalt
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart