Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung vom 15.12.2022 klargestellt, dass die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eines Schwerbehinderten Menschen keine Vermutung dafür begründet, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Eine solche Vermutungswirkung komme dem Zustimmungsbescheid nicht zu.
BAG vom 15.12.2022 – 2 AZR 162/22
Worum ging es in der Entscheidung?
Gemäß § 168 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) bedarf die Zustimmung eines schwerbehinderten oder einem schwerbehinderten gleichgestellten Arbeitnehmers der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.
Vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ist dem Arbeitnehmer in der Regel ein betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX anzubieten.
In der vorliegenden Entscheidung klagte eine Versicherungssachbearbeiterin (Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen lag vor) gegen ihre krankheitsbedingte Kündigung. Der Arbeitgeber hatte sie zuvor zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen. Da die Klägerin sich geweigert hatte, die datenschutzrechtliche Einwilligung unverändert zu unterzeichnen, führte der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement letztlich nicht durch. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass Voraussetzung für die Durchführung die datenschutzrechtliche Einwilligung sei. Die Mitarbeiterin machte dann eine stufenweise Wiedereingliederung.
Nach Zustimmung des Integrationsamtes kam es dann im Mai 2020 zum Kündigungsausspruch.
Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage der Klägerin ab, das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hob diese Entscheidung mit der Begründung auf, der Arbeitgeber hätte ein erneutes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen können und müssen.
Wie entscheidet das Bundesarbeitsgericht?
Das Bundesarbeitsgericht bestätigt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg. Die krankheitsbedingte Kündigung sei unverhältnismäßig und deswegen sozial ungerechtfertigt. Der Arbeitgeber habe nicht dargelegt, dass keine zumutbare Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden.
Für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung trage der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Er könne sich zwar zunächst auf den Vortrag beschränken, dass für den Arbeitnehmer keine andere seinem Gesundheitszustand entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit bestehe. Sei der Arbeitgeber jedoch zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements verpflichtet und sei er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, dann müsse er darlegen und beweisen, dass auch ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht zur Erhaltung des Arbeitsverhältnisses hätte beitragen können.
Ein solches betriebliches Eingliederungsmanagement, so das Bundesarbeitsgericht, hätte der Arbeitgeber durchführen müssen. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei die Klägerin weit mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Klägerin habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement auch nicht abgelehnt. Sie habe ausdrücklich die Bereitschaft zur Durchführung erklärt. Der Arbeitgeber hätte die Durchführung nicht von der Unterzeichnung der von ihm vorformulierten Datenschutzerklärung abhängig machen dürfen. Dem Arbeitgeber sei es auch ohne die verlangte Einwilligung möglich und zumutbar, zunächst mit dem beabsichtigten betrieblichen Eingliederungsmanagement zu beginnen. Der Arbeitgeber habe mit der Klägerin in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf besprechen und versuchen können, die offenbar bei der Klägerin bestehenden Vorbehalte auszuräumen. Daneben hätten die Parteien den Kreis der mitwirkenden Stellen und Personen festlegen können. Erst in einem weiteren Termin wären dann mit den Verfahrensbeteiligten die in Betracht kommenden Möglichkeiten zu erörtern gewesen, ob und gegebenenfalls wie die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin reduziert werden könne. Dabei hätte auch ermittelt werden können, welche Angaben über den Gesundheitszustand der Klägerin hierfür voraussichtlich erforderlich seien und auf welche Weise etwaige Gesundheitsdaten rechtskonform zu erheben und zu verarbeiten seien. Wenn die Klägerin dann nicht bereit wäre, an dem weiteren Klärungsprozess mitzuwirken, hätte dies den Arbeitgeber durchaus zur Verfahrensbeendigung veranlassen können.
Das Bundesarbeitsgericht klärt in seiner Entscheidung dann den weiteren Gesichtspunkt, wie die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung in diesem Zusammenhang zu bewerten ist.
Jedenfalls könne die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung keine Vermutung dafür liefern, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement eine Kündigung nicht hätte verhindern können.
Eine Vermutungswirkung der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamt finde bereits im Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX, der das betriebliche Eingliederungsmanagement regelt, keine Stütze. Das betriebliche Eingliederungsmanagement und das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt hätten unterschiedliche Ziele, prozedurale Abläufe und Beteiligte. Das betriebliche Eingliederungsmanagement sei ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung künftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll. Demgegenüber prüfe das Integrationsamt einen vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschluss und treffe eine Ermessensentscheidung, bei welcher das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen sei. Der Zustimmung des Integrationsamts könne deshalb keine Bedeutung für den Erfolg oder die Erfolglosigkeit eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zukommen.
Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung?
Zunächst einmal ist es richtig, wenn das Bundesarbeitsgericht annimmt, dass aus der Zustimmung des Integrationsamtes keine Erleichterungen für die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess hergeleitet werden kann. Bietet der Arbeitgeber entgegen seinen Verpflichtungen kein betriebliches Eingliederungsmanagement an, muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement ohnehin eine Kündigung nicht hätte verhindern können. Dem ist zuzustimmen.
Dr. Bert Howald
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Gassmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart