Von: Dr. Bert Howald 1. Juli 2021

Was war geschehen?

Der Kläger, 42 Jahre alt, war seit dem 15.03.2004 im Lager des beklagten Arbeitgebers beschäftigt. Während der Arbeit nahm der Kläger in der Frühphase der Pandemie im März 2020 – es herrschte Knappheit bei der Beschaffung von Desinfektionsmitteln – eine 1-Liter- Flasche Desinfektionsmittel sowie eine Rolle Handtuchpapier und legte diese in seinen privaten Pkw, welcher ebenfalls auf dem Firmengelände geparkt war. Bei einer Fahrzeugkontrolle entdeckten Werkschutzmitarbeiter der Beklagten die noch nicht angebrochene Flasche mit Desinfektionsmittel sowie die Rolle Handtuchpapier. Zum damaligen Zeitpunkt betrug der Wert der Gegenstände ungefähr 40,00 €. Nach Anhörung des Betriebsrats sprach die Beklagte eine fristlose Kündigung aus.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf bestätigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts Mönchengladbach, welches die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers abgewiesen hat.

            Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 14.01.2021 – 5 Sa 483/20

            Vorinstanz: Arbeitsgericht Mönchengladbach vom 01.07.2020 – 6 Ca 632/20

Wie begründet das Gericht seine Entscheidung?

Im vorliegenden Fall sei das Verhalten des Klägers an sich geeignet einen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben. Es stehe fest, dass der Kläger die Flasche Desinfektionsmittel dem Zugriff der Beklagten oder der anderen Arbeitnehmer entzogen habe. Dabei komme es nicht darauf an, ob es sich um einen vollendeten Diebstahl gehandelt habe. Es reiche aus, dass der Kläger den Zugriff auf die Flasche Desinfektionsmittel durch Verbringen in seinen privaten Pkw entzogen habe.

Der Beklagten sei es auch nicht zumutbar, den Kläger weiter zu beschäftigen. Eine Abmahnung sei vorliegend entbehrlich gewesen, denn das Fehlverhalten des Klägers sei derart schwerwiegend, dass es ohne Abmahnung eine fristlose Kündigung rechtfertige. Ein Arbeitnehmer, der in Zeiten einer Pandemie dringend benötigtes Desinfektionsmittel dem Zugriff des Arbeitgebers und seiner Arbeitskollegen entzieht, obwohl er weiß, dass es schwer zu beschaffen sei, könne nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber ein solches Verhalten lediglich mit einer Abmahnung ahnden werde.

Für den Kläger habe auch nicht entscheidend die Dauer des Arbeitsverhältnisses von 16 Jahren gewogen. Der Kläger befindet sich nicht in einem fortgeschrittenen Lebensalter, er habe seine eigenen Interessen rücksichtslos über die Interessen des Arbeitgebers und seiner Kollegen gestellt.

Auswirkungen auf die Praxis:

Der Fall zeigt, dass Entwendungen von Arbeitgebereigentum von den Gerichten als schwerwiegend eingestuft werden. Im vorliegenden Fall kam noch hinzu, dass zum damaligen Zeitpunkt Desinfektionsmittel aufgrund der Pandemiesituation nur schwer zu beschaffen war. Dabei kommt es nicht in erster Linie auf die strafrechtliche Beurteilung an. Entscheidend für die Beurteilung der Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung ist, ob das zugrunde liegende Verhalten des Arbeitnehmers an sich geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (1. Stufe), sodann ist eine Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vorzunehmen (2. Stufe). Dabei kann ein langjähriges, beanstandungsfreies Arbeitsverhältnis im Einzelfall eine andere Beurteilung rechtfertigen. In der Rechtsprechung wird von einer „verfestigten Vertrauensbeziehung“ gesprochen (Bundesarbeitsgericht vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09). Geprüft werden muss dann, ob durch eine einmalige Verfehlung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Ehrlichkeit des Arbeitnehmers unwiederbringlich zerstört werden konnte. Dies sei nach objektiven Maßstäben zu beurteilen.

Dr. Bert HowaldRechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart

Kategorie: Arbeitsrecht