Von: Peter Walter 18. Mai 2022

Die Entscheidung:

Das Landgericht München hat am 11.03.2022 entschieden, dass der Fußballer Jerome Boateng bzw. sein Kfz-Haftpflichtversicherer einem Schönheitschirurgen kein Schmerzensgeld und auch keinen Verdienstausfall bezahlen muss. Der Schönheitschirurg hatte einen Fahrspurwechsel durchgeführt. Boateng war ihm sodann im weiteren Verlauf mit seinem Fahrzeug aufgefahren. Der Schönheitschirurg behauptete aufgrund des Unfalls eine HWS-Distorsion sowie Sensibilitätsstörungen an der rechten Hand erlitten zu haben. Das Landgericht sah die Verantwortlichkeit für den Unfall bei Boateng. Es gelangte zur Auffassung, dass der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden (Boateng) Anwendung findet. Jedoch – so das Landgericht München – sei nicht nachgewiesen, dass der Schönheitschirurg tatsächlich die behaupteten Verletzungen beim Unfall erlitt. Zum einen aufgrund eines eingeholten Fachgutachtens. Zum anderen auch aufgrund der Tatsache, dass der Schönheitschirurg sich erst einen Monat nach dem Unfall in ärztliche Behandlung begab. 

Auswirkungen auf die Praxis:

Die Unfallkonstellation (Fahrspurwechsel + anschließendes Auffahren) ist sehr streitträchtig. Ein Wechseln der Fahrspur kann nur dann erfolgen, wenn die Gefährdung anderer ausgeschlossen wird. Risiken gehen zu Lasten des Fahrspurwechslers. Andererseits spricht bei einem Auffahrunfall der Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende verantwortlich ist. Diese beiden Grundsätze streiten in diesbezüglichen Konstellationen gegeneinander. Es kommt sehr auf den genauen Ablauf, die Abstände und die gefahrenen Geschwindigkeiten im Einzelfall an. Die Entscheidung zeigt des Weiteren, dass der Nachweis, dass Beeinträchtigungen/ Verletzungen auf einen Unfall zurückzuführen sind, durchaus Probleme bereiten kann. Es zeigt sich einmal mehr, dass es sich bei erlittenen Verletzungen (stellt man die Ansprüche in den Vordergrund) nicht lohnenswert ist „auf die Zähne zu beißen“ und den Arztbesuch zu verzögern. Eine frühzeitige und umfassende ärztliche Behandlung und insbesondere Dokumentation ist erforderlich und hilfreich.

Tipp:

Gerade bei einer Unfallkonstellation, in der es sehr auf exakte und präzise Angaben zum Unfallhergang ankommt, empfiehlt es sich, keine Einlassung/ Unfallschilderung ohne anwaltliche Hilfe zu verfassen. Es empfiehlt sich – nahezu immer bei Schmerzensgeldansprüchen und anderen Personenschäden (z. B. Verdienstausfall) – frühzeitig einen Anwalt zu konsultieren, damit die weitere Vorgehensweise auch im Hinblick auf die Beweissicherung und Beweisdokumentation besprochen und in die Wege geleitet werden kann.

Peter Walter
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Versicherungs- und Verkehrsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart

Kategorie: Allgemein