Von: Peter Walter 13. September 2022

Das Problem:

Vor dem Juli 2017 sah das Bürgerliche Gesetzbuch kein Hinterbliebenengeld vor. Wenn Kinder – z. B. bei einem Verkehrsunfall – ihren Vater verloren, wenn die Ehefrau um ihren verunglückten Ehemann trauerte, gab es nicht automatisch Entschädigungsleistungen. Nur dann, wenn die Hinterbliebenen aufgrund des Unfalltodes psychisch erkrankten (ein normales Maß an Trauer und Traurigkeit reichten hierfür nicht aus) gab es ein Schmerzensgeld. Die Erkrankungen mussten bewiesen werden. Die Hürden waren hoch. Seit Juli 2017 sieht § 844 III des Bürgerlichen Gesetzbuches vor, dass Hinterbliebene die in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu dem Getöteten standen ein Hinterbliebenengeld erhalten. Völlig unabhängig davon, ob sie psychisch erkranken oder nicht. Über die Höhe des Hinterbliebenengeldes schweigt das Gesetz.

Die Entscheidung:

Das Oberlandesgericht Köln hat nunmehr am 05.05.2022 – Az. 18 U 168/21 – entschieden, dass ein Betrag in Höhe von 10.000,00 € als Ausgangspunkt für eine vorzunehmende Einzelfallprüfung zur Bemessung der Höhe des Hinterbliebenengeldes heranzuziehen ist. In der Rechtsprechung und insbesondere in der Literatur ist umstritten, wie das Hinterbliebenengeld zu ermitteln und zu bemessen ist. Das Oberlandesgericht Köln hat Bezug genommen auf die Gesetzesfolgenbewertung in der Begründung des Regierungsentwurfes zur Gesetzesänderung in 2017. Darin wurde ein Betrag von etwa 10.000,00 € als durchschnittlicher Betrag genannt, der bei sogenannten Schockschäden (wenn Hinterbliebene psychisch erkrankten und dies auch nachweisen konnten) ausbezahlt wird. In der Literatur – auf die sich die Versicherungswirtschaft weitestgehend stützt – ist die Bedeutung dieser genannten 10.000,00 € umstritten. Vereinzelt werden diese 10.000,00 € als Maximalbetrag angesehen. Daher wird begründet, dass das Hinterbliebenengeld vom Grundsatz her hinter den 10.000,00 € zurückzubleiben hat. Zum Teil wird in der Literatur auch ausgeführt, dass es sich bei den 10.000,00 € um einen Mindestbetrag handeln soll.

Neben dem Oberlandesgericht Köln in der aktuellen Entscheidung haben auch andere Spruchkörper die 10.000,00 € als Orientierungshilfe angesehen. Auf Basis dieser 10.000,00 € müssen im Einzelfall weitere Prüfungen erfolgen. Es kommt dabei u. a. auf das Näheverhältnis des Anspruchsberechtigten zum Getöteten an. Es kann insoweit auch eine Rolle spielen ob und in welchem Umfang mitunter auch psychische Beeinträchtigungen (Schockschäden) beim Hinterbliebenen vorliegen, die jedoch nicht Anspruchsvoraussetzung sind.

Das Oberlandesgericht Köln hat insoweit den von der Vorinstanz zugesprochenen Betrag (12.000,00 €) als angemessen und ausreichend erachtet. Das Oberlandesgericht Köln hat die Klage darüber hinaus gehend abgewiesen. Die Klägerin hatte 30.000,00 € verlangt. Sie hatte dies mit einer Richtlinie zur Zahlung von Härteleistungen für Opfer terroristischer und extremistischer Taten begründet. Diese Richtlinie sieht einen Betrag von 30.000,00 € vor. Diese Richtlinie sei jedoch – so das Oberlandesgericht Köln – nicht einschlägig. Sie regelt einen anderen Sachverhalt.

Auswirkungen auf die Praxis:

Das Oberlandesgericht Köln hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. Insoweit ist zu erwarten, dass sich nunmehr der Bundesgerichtshof mit der Höhe des Hinterbliebenengeldes befasst. Dadurch sollte und könnte eine gewisse Rechtssicherheit eintreten. Bisher stützten sich die Versicherer meist außergerichtlich auf die Auffassungen, die in den 10.000,00 € einen Maximalbetrag sehen und regulieren häufig (nur) im vierstelligen Bereich.  

Tipp:

Die Entwicklung in den letzten Monaten (die Gesetzesänderung gab es erst in 2017) zeigt, dass die Gerichte tendenziell mehr zusprechen, als die Versicherer außergerichtlich regulieren. Hier lohnt oftmals eine gerichtliche Weiterverfolgung von Ansprüchen.

Noch am Rande: Anspruchsberechtigt sind nicht nur Angehörige des Getöteten. Anspruchsberechtigt kann jeder sein, der zum Getöteten ein besonderes Näheverhältnis hatte. Das kann auch der Nachbar sein, der mit dem Getöteten eng befreundet war.

Peter Walter
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungs- und Verkehrsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart

Kategorie: Allgemein