Das Bundesarbeitsgericht hat einem männlichen Bewerber in einer Entscheidung vom 05.12.2024 eine Entschädigung wegen Geschlechterbenachteiligung versagt, der sich auf eine Stelle als „Sekretärin“ beworben hatte.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.09.2024 - gerichtliches Aktenzeichen: 8 AZR 21/24
Was war geschehen?
Der Kläger, 30 Jahre alt, hatte sich auf eine ca. 170 km entfernte Stelle beworben. In der Stellenanzeige suchte der Arbeitgeber eine „Bürokauffrau/Sekretärin“. Der Kläger verfügt über einen Abschluss als Industriekaufmann und gab an, Wirtschaftsrecht an einer Fernuniversität zu studieren. Die Stelle erhielt letztlich eine weibliche Bewerberin. In seiner Bewerbung, die Rechtsschreib- und Grammatikfehler enthielt, hatte der Kläger angegeben, er suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an der Stelle. Er fragte, ob ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau, gesucht werde, in der Stellenanzeige sei dies so angegeben. Er sei ab sofort verfügbar. Der Arbeitgeber teilte dem Kläger in der Absage mit, es werde ausschließlich „eine Dame“ gesucht.
Hierdurch fühlte sich der Kläger wegen des Geschlechts benachteiligt und verlangte außergerichtlich eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Die gerichtliche Geltendmachung blieb erfolglos.
Der Kläger hatte sich neben dieser Bewerbung auch in zahlreichen anderen Bewerbungen auf Stellen, die teilweise sehr weit von seinem Wohnort entfernt lagen, mit ähnlichen Texten beworben und eine Entschädigung verlangt.
Wie lautet die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts?
Das Bundesarbeitsgericht sieht keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung. Dem stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Rechtsmissbrauch sei anzunehmen, wenn sich die betroffene Person nicht bewerbe, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum gehe, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung geltend zu machen.
Nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches seien durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtspositionen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Zwar führe nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtstellung, habe der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liege eine unzulässige Rechtsausübung vor.
Dabei gehe es nicht allein darum, dass der Kläger ca. 170 km weit entfernt gewohnt habe oder wie viel Mühe sich der Kläger bei der Abfassung der Bewerbung gemacht habe. Auch reiche es nicht aus, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt habe. Ein solches Verhalten lasse sich genauso gut damit erklären, dass ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt einer Stelle bestand. An den Rechtsmissbrauchseinwand seien hohe Anforderungen zu stellen. Eine Vielzahl anderweitiger Bewerbungen und anschließender Entschädigungsklagen seien nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn sich ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Bewerbers feststellen lasse, das auf der Erwägung beruht, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein auskömmlicher „Gewinn“ verbleiben.
Dies sei vorliegend aber gerade der Fall. Der Kläger habe sich laufend und deutschlandweit auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ beworben und nach provozierter Absage seiner Bewerbung versucht, Entschädigungsansprüche durchzusetzen. Im Rahmen der anderweitigen Bewerbungen habe sich der Kläger zunächst mit weitgehend wortgleichen Schreiben bzw. E-Mails auf die jeweiligen Stellen beworben, im Laufe der Zeit habe er sein Verhalten den Erkenntnissen aus Entschädigungsprozessen angepasst.
Welche Auswirkungen hat die Entscheidung?
Seit Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wird immer wieder davor gewarnt, dass Entschädigungsansprüche im Zusammenhang mit Benachteiligungen bei Bewerbungsprozessen auch Personen anlocken, die aus solchen Ansprüchen ein „Geschäftsmodell“ machen.
Und in der Tat zeigt der vorliegende Fall, dass die Fehler, die Unternehmen bei Stellenanzeigen machen, auf solche Personen offenbar sehr einladend wirken. Das beste Mittel gegen ein solches teilweise als „Diskriminierungs-Raubrittertum“ bezeichnetes Vorgehen ist es sicherlich, Stellenanzeigen AGG-fest zu formulieren, damit Ansprüche erst gar nicht entstehen können. Dies gilt schon deshalb, weil auch ein einmaliger Verstoß für Unternehmen nachteilig sein kann, wenn schon nicht aus finanziellen, so doch aus Compliance- und Imagegründen.
Dabei ist es aber auch wichtig, die Gefahren von Bewerbungsprozessen nicht zu übertreiben, weil dies sonst lähmend auf Unternehmen wirken könnte. Eine „Flut“ von AGG-Hoppern hat es seit Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes jedenfalls nicht gegeben, zum Glück handelte es sich bisher eher um Ausnahmeerscheinungen.
Dr. Bert Howald
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart