Worum geht es?
Innerhalb der ersten sechs Monate des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses besteht noch kein Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes.
Innerhalb dieser Zeit bestehen daher für Arbeitgeber erleichterte Voraussetzungen, wenn diese sich von einem Arbeitnehmer/einer Arbeitnehmerin trennen wollen.
Die Voraussetzungen sind einerseits dadurch erleichtert, dass häufig kürzere Kündigungsfristen bestehen. So beträgt die gesetzliche Kündigungsfrist bei Vereinbarung einer Probezeit zwei Wochen (statt der sonst aufgrund von § 622 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geltenden Frist von vier Wochen zur Monatsmiete oder zum Monatsende), manche Tarifverträge sehen sogar kürzere Kündigungsfristen vor.
Des Weiteren muss der Arbeitgeber, wie oben bereits angedeutet, trotz entsprechender Betriebsgröße (§ 23 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz) nicht die Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes einhalten.
Besonderheiten bestehen allerdings, wenn es sich um schwerbehinderte Beschäftigte handelt.
Zwar bedarf eine Kündigung in den ersten sechs Monaten des Bestehens des Arbeitsverhältnisses nicht der Zustimmung des Integrationsamtes (§ 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX), Schwerbehinderte genießen trotzdem einen besonderen Schutz.
Neben dem Erfordernis der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (der Betriebsrat ist unabhängig von der Schwerbehinderung immer vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen) muss der Arbeitgeber auch beim Auftreten von Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis zunächst klären, ob diese Schwierigkeiten beseitigt werden können.
Dies geht aus einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Freiburg hervor, die vor kurzem veröffentlicht wurde.
Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 04.06.2024 – 2 Ca 51/24
Was wurde entschieden?
Ein Mitarbeiter mit einem Grad der Behinderung von 50 wehrte sich in dem Rechtsstreit gegen die Kündigung durch den Arbeitgeber, eine Kommune. Er sei nicht ordnungsgemäß eingearbeitet worden, die Kollegen hätten ihm aufgrund ihrer hohen Arbeitsbelastung nicht helfen können. Er habe die Teamleiterin und die Sachgebietsleiterin über seine Erkrankungen, die ihn beruflich einschränkten, informiert. Der Arbeitgeber wirft dem Mitarbeiter vor, es habe im Team erhebliche Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit gegeben, er sei uneinsichtig gewesen, habe nicht richtig gearbeitet, es habe auch auf der persönlichen Ebene viele Probleme gegeben. Mitarbeitergespräche hätten nichts geholfen.
Das Arbeitsgericht Freiburg hat der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters stattgegeben. In der Begründung führt das Arbeitsgericht aus, die Zustimmung des Integrationsamtes sei nicht einzuholen gewesen , wohl aber sei die Kündigung unwirksam, weil der Arbeitgeber den Mitarbeiter wegen seiner Behinderung benachteiligt habe.
Dies ergebe sich daraus, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus § 167 SGB IX nicht nachgekommen sei. Danach müssen Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamts einschalten, um mit Ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
Der Mitarbeiter müsse nicht zuvor auf der Durchführung eines Präventionsverfahrens bestehen. Der Arbeitgeber sei von sich aus verpflichtet, das Verfahren einzuleiten. Die Verletzung der Verpflichtung zur Durchführung des Präventionsverfahrens indiziere, dass der Mitarbeiter benachteiligt worden sei. Der Arbeitgeber habe diese Vermutung nicht widerlegt.
Praxis Tipp:
Es ist nicht bekannt, ob die Entscheidung rechtskräftig ist. Der Arbeitgeber kann hiergegen Berufung einlegen. Die Entscheidung zeigt jedoch, dass bei auftretenden Schwierigkeiten in der Anfangsphase des Arbeitsverhältnisses schwer behinderter Menschen nicht einfach gekündigt werden kann. Der Arbeitgeber sollte auf jeden Fall ein Präventionsverfahren durchführen. Ungeklärt ist bislang, ob dem Arbeitgeber bei Auftreten von Schwierigkeiten auch dann ein Präventionsverfahren zuzumuten ist, wenn die Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes abläuft. In Zweifelsfällen sollte dies rechtlich abgeklärt werden.
Dr. Bert Howald
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart