Von: Michael Petermann 27. Januar 2025

Die Entscheidung:

In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle musste sich dieses mit der Frage beschäftigen, unter welchen Umständen pflichtteilsberechtigte Kinder, welche von ihrem Vater einerseits enterbt und andererseits mit Vermächtnissen bedacht wurden, durch Annahme jedenfalls der Vermächtnisse auf ihre weitergehenden Pflichtteilsansprüche nicht ggf. verzichten.

Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Erblasser seine Kinder aus erster Ehe zugunsten seiner zweiten Ehefrau enterbt, sie aber immerhin mit zwei Vermächtnissen bedacht: Bei seinem Tode sollten sie sowohl Geld aus dem Verkauf eines gemeinschaftlichen Grundstücks des Erblassers und dessen Ehefrau erhalten als auch Geld aus der Auflösung eines mit der Ehefrau gemeinsamen Depots.

Das besagte Grundstück wurde noch zu Lebzeiten des Erblassers veräußert und der Erlös einvernehmlich unter ihm, seiner zweiten Ehefrau und seinen Kindern aus der ersten Ehe verteilt.

Nach dem Tod des Erblassers rechnete die Ehefrau als Alleinerbin dann auch noch den Gegenwert des Depots ab und zahlte den erstehelichen Kindern ihre daran vermachten Anteile aus.

Über Umfang und Güte der von der Ehefrau zum Depot dabei erteilten Auskünfte kam es jedoch zum Streit der Parteien. In der Folge forderten die Kinder die Ehefrau unter Fristsetzungen dazu auf, ihnen Auskunft sowohl über den Bestand als dann auch den Wert des gesamten Nachlasses zu erteilen. Dies, um mit den entsprechenden Angaben sodann restliche Pflichtteilsansprüche abschließend errechnen und gegenüber der Ehefrau ebenfalls geltend machen zu können.

Die Ehefrau erteilte auf diese Begehren zwar noch Auskunft, weigerte sich im weiteren Verlauf dann aber kategorisch, auch noch die Wertermittlungen zu leisten. Sie stellte sich dabei auf den Standpunkt, die Kinder hätten durch Annahme der Gelder aus dem Depot bereits konkludent auf jegliche etwaige weitergehende Pflichtteilsansprüche verzichtet.

Mit dieser Argumentation fand sie beim Landgericht Hannover in erster Instanz noch Gehör. Dieses wies die Klage der Kinder auf Wertermittlung ab. In der von den Kindern daraufhin angestrengten Berufung hob das Oberlandesgericht Celle die erstinstanzliche Entscheidung dann allerdings auf und verurteilte die Ehefrau auch noch zur Wertermittlung.

Auswirkungen auf die Praxis:

Pflichtteilsverzichte kommen in zwei Ausprägungen vor: Zu Lebzeiten eines Erblassers kann man auf seinen künftigen Pflichtteil verzichten. Nach dem Tod eines Erblassers kann auf den entstandenen Pflichtteil verzichtet werden.

Während der Verzicht auf den künftigen Pflichtteil nur im Wege notarieller Beurkundung möglich ist und somit nicht ganz unbedacht abgegeben werden kann, fordert das Gesetz für den Verzicht auf den entstandenen Pflichtteil keine besondere Form. Ein solcher Verzicht könnte so theoretisch auch privatschriftlich, ja sogar mündlich oder durch schlüssiges Tun oder Unterlassen stattfinden. Im letztgenannten Fall spricht der Jurist von einem „konkludenten“ Verzicht.

Darüber, welches Tun oder Unterlassen einen solchen „konkludenten“ Verzicht darstellen könnte, gibt es nicht selten Streit.

Mit eben jenem Problem sahen sich nun vorliegend auch die erstehelichen Kinder des besagten Erblassers konfrontiert.

Das Oberlandesgericht Celle hat in der zitierten Entscheidung dabei nochmals ganz dezidiert herausgearbeitet, dass für jedwede Behauptung eines konkludenten Verzichts erstens der Behauptende die volle Beweislast trägt und zweitens an den Beweis durchaus strenge Anforderungen zu stellen sind.

Diese Anforderungen sah das Oberlandesgericht Celle im vorliegenden Fall letztlich als nicht erfüllt an. Was für ein Glück für die Kinder des Erblassers und was für ein Pech für seine anderer Ansicht gewesene Ehefrau!

Tipp:

Als Rechtsuchender sollte man es allerdings keinesfalls dem Glück oder anderen Zufällen des Lebens überlassen, ob ein Gericht in einem Tun oder Unterlassen einer Partei hernach einen konkludent abgegebenen Pflichtteilsverzicht im Ergebnis verneinen oder warum auch immer doch sehen möchte.

Das gilt auch und gerade für einen pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer. Sein Vermächtnis muss er sich nach § 2307 BGB auf seine gesamten Pflichtteilsansprüche anrechnen lassen. Er hat infolgedessen nur noch Anspruch auf den Pflichtteilsrest, im Anwendungsbereich des § 2307 BGB „Zusatzpflichtteil“ genannt. Gerade er in seiner Situation muss deshalb darauf bedacht sein, auf diesen „Zusatzpflichtteil“ keinesfalls zu verzichten. Die ganze Thematik ist und bleibt für ihn eine besonders sensible. Mit seiner doppelten Anspruchstellerrolle tut er deshalb gut daran, sich zu dieser Thematik besser qualifiziert durch Fachanwälte für Erbrecht beraten und ggf. bei der Anspruchsdurchsetzung von Anfang an auch vertreten zu lassen.

Michael Petermann
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart

Kategorie: Allgemein