Von: Dr. Ralf Baur 21. November 2022

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Baur berichtet über eine neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Überstundenvergütung (BAG v. 04.05.2022 – 5 AZR 359/21).

Worum ging es in diesem Fall?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über die Frage zu entscheiden, ob es für Arbeitnehmer Beweiserleichterungen im Hinblick auf geleistete Überstunden und die dafür beanspruchte Überstundenvergütung gibt, wenn der Arbeitgeber entgegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH v.14.05.2019, C-55/18) kein Zeiterfassungssystem eingeführt hat.

Im vom BAG entschiedenen Fall ging es um den Auslieferungsfahrer eines Lebensmittelmarkts. In dem Lebensmittelmarkt war ein technisches Zeiterfassungssystem eingerichtet, bei dem jedoch nur die Marktmitarbeiter ihre Pausenzeiten erfassen konnten, die sich auf Auslieferungstouren befindlichen Fahrer jedoch nicht. Die Fahrer konnten lediglich ihre Arbeitszeiten ab Beginn der Auslieferungsfahrt bis zu ihrer Beendigung erfassen.

Ein Auslieferungsfahrer hat deshalb gegen seinen Arbeitgeber zunächst auf Erteilung von Auskünften über die von ihm geleistete Arbeitszeit geklagt. Aus der erteilten Auskunft ergab sich ein bislang nicht bezahlter Positivsaldo der Arbeitszeit von 348 Stunden für einen Zeitraum von ca. 2,5 Jahren. Der Arbeitnehmer hat dann in einem weiteren Schritt die Vergütung der 348 Positiv- bzw. Überstunden geltend gemacht, hatte jedoch damit vor dem BAG keinen Erfolg.

Wie entscheidet das Bundesarbeitsgericht?

Das BAG hat in der Entscheidung geurteilt, dass die vom EuGH festgestellte Verpflichtung der Arbeitgeber zur Errichtung effektiver Arbeitszeiterfassungssysteme den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bezwecken, jedoch keinen Zusammenhang zu Vergütungsfragen und zur vereinfachten Geltendmachung von Überstundenvergütung von Arbeitnehmern bestehe.

Hinsichtlich arbeitsgerichtlicher Prozesse zu Überstundenvergütung bleibe es bei den bisherigen Grundsätzen, dass derjenige die Darlegungs- und Beweislast trage, der den Anspruch geltend macht, also bei einer Vergütung von Überstunden der jeweilige Arbeitnehmer.

Trotz der aus dem Europarecht folgenden Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer effektiven Arbeitszeiterfassung ist es nach Auffassung des BAG weiterhin Sache des Arbeitnehmers, ggf. von ihm gemachte Überstunden selbst aufzuzeichnen um sie im Anschluss geltend machen zu können.

Auswirkungen auf die Praxis:

Bezüglich arbeitsgerichtlicher Prozesse zur Vergütung von Überstunden bleibt es somit bei der bisherigen Praxis.

Ein Arbeitnehmer, der die Vergütung von Überstunden beansprucht, muss darlegen und im Bestreitensfall durch den Arbeitgeber beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei ist es erforderlich, dass der Arbeitnehmer vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Es ist nicht ausreichend, wenn der Arbeitnehmer lediglich ohne entsprechende tagesgenaue Aufschlüsselung einen monatlichen oder gar jährlichen Überstundengesamtsaldo behauptet.

Sodann ist es Sache des Arbeitgebers konkret vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen nicht nachgekommen ist.

Selbst wenn das Vorliegen eines Positivsaldos zwischen den Parteien unstreitig ist, muss der Arbeitnehmer zusätzlich darlegen, dass die Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet wurden. Die Überstunden müssen also vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeiten notwendig gewesen sein. Auch hierfür trägt der Arbeitnehmer weiterhin die Darlegungs- und Beweislast.

Für Arbeitnehmer bleibt es damit dabei, dass das Einklagen von Überstundenvergütung schwierig ist und es hierfür genauer Kenntnisse der Rechtslage bedarf. Es sollte dazu auf jeden Fall ein im Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt bzw. Fachanwalt für Arbeitsrecht beigezogen werden.

Umgekehrt bleibt es dabei, dass Arbeitgeber bei einer geschickten Prozessführung und genauem Bestreiten weiterhin gute Chancen haben, Ansprüche auf Überstundenvergütung bei anwaltlicher Beratung zurückzuweisen.

Dr. Ralf Baur
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart

Kategorie: Allgemein