Von: Dr. Bert Howald 4. Oktober 2022

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in einer Entscheidung damit befasst, wie viel Zeit der Arbeitgeber im Fall einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung für Untersuchungen (Stichwort: „Compliance- Untersuchungen“) hat.

            Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.05.2022 – gerichtliches Aktenzeichen: 2 AZR 483/21

Hintergrund hierfür ist folgendes: Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (fristlose Kündigung) kann nur innerhalb von zwei Wochen in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Das ergibt sich aus § 626 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches. In vielen Fällen dürfte es sich beim Arbeitgeber um eine juristische Person handeln. Für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist dann die Kenntnis des zuständigen Organs der Gesellschaft maßgeblich. Bei einer GmbH ist dies die Geschäftsführung.

Worum ging es in dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall?

Der Kläger war bei dem Arbeitgeber (einer GmbH) als Vertriebsleiter Defence beschäftigt. Der Arbeitgeber bearbeitet unter anderem Aufträge für die Bundeswehr und das Bundesverteidigungsministerium. Er verfügt über eine Compliance-Abteilung („Legal & Compliance Department“). Der Abteilungsleiter erhielt im Juli 2018 Hinweise, dass Mitarbeitern des Unternehmens ein streng geheimes Dokument des Bundesverteidigungsministeriums vorliege. Er beauftragte eine Rechtsanwaltskanzlei mit einer unternehmensinternen Untersuchung. Im Juni 2019 unterbrach der Arbeitgeber die interne Untersuchung und legte der Geschäftsführung im September 2019 einen von der eingeschalteten Rechtsanwaltskanzlei erstellten Zwischenbericht vor, damit diese über weitere Maßnahmen, auch arbeitsrechtlicher Art, entscheiden möge. Der Kläger nahm nach entsprechender Aufforderung wenige Tage später zu den Vorwürfen Stellung. 12 Kalendertage nach Übergabe des Zwischenberichts an die Geschäftsführung erfolgte die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Klägers, die dieser mit der Kündigungsschutzklageangriff.

Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht obsiegte der Kläger mit seinen Kündigungsschutzanträgen. Das Bundesarbeitsgericht verweist den Rechtsstreit auf die Revision des Arbeitgebers zurück an das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg.

Das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht entschieden, dass die fristlose Kündigung deshalb unwirksam sei, weil der Arbeitgeber die Zweiwochenfrist des § 626 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht eingehalten habe. Hierüber müsse das Landesarbeitsgericht erneut entscheiden.

Das Bundesarbeitsgericht lässt in seiner Entscheidung offen, ob es bezüglich des Beginns der Zweiwochenfrist für die Erklärung der Kündigung auf die Kenntnis des Abteilungsleiters der Compliance- Abteilung ankomme. Bei der Kenntniserlangung komme es darauf an, ob alles ihnen Erfahrung gebracht worden sei, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen sei. Dazu zählten insbesondere auch diejenigen Umstände, die das Gewicht einer Pflichtverletzung im Geflecht von weiteren an einem Fehlverhalten beteiligten Arbeitnehmern betreffen. Ein Fehlverhalten wiege etwa, wenn sich ein Arbeitnehmer aufgrund der Einflussnahme von Vorgesetzten genötigt gesehen habe, Amtspflichtverletzungen mitzuwirken, weniger schwer als wenn er selbst Initiator des Geschehens oder dessen aktivfördernder Part gewesen sei. Es sei deshalb maßgeblich, die Mitwirkungsanteil der betroffenen Mitarbeiter und ihre Rolle im Verhältnis zueinander zu kennen. Das bedeute allerdings nicht, dass der Arbeitgeber eine Compliance-Untersuchung stets erst entsprechend einem von ihm selbst vorgegebenen Erkenntnisinteresse zu Ende führen könne. So dienten etwa Ermittlungen, mit denen jenseits der Identifikation und Gewichtung bereits begangener Pflichtverstöße unternehmensbezogene (Präventions-) Ziele verfolgt würden, grundsätzlich nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen.

Insoweit müsse aufgeklärt werden, ob die Geschäftsführung des Arbeitgebers sich auf Unkenntnis der maßgebenden Tatsachen vor der Überreichung des oben genannten Zwischenberichts berufen könne. Dazu komme es auch darauf an, ob es sich um ein relevantes Organisationsverschulden handele, dass sich der Geschäftsführer nicht regelmäßig über den Stand der Ermittlungen habe informieren lassen oder ob der Abteilungsleiter der Compliance-Abteilung hätte dafür sorgen müssen, dass die Geschäftsführung über den jeweiligen Stand der Ermittlungen informiert gewesen sei. Das Bundesarbeitsgericht sieht in der Entscheidung, einen Zwischenbericht zu erstellen, keinen Umstand, der zur Annahme führen könnte, der Arbeitgeber habe den Informationsfluss treuwidrig behindert. Die Tatsache, dass die den Bericht erstellende Rechtsanwaltskanzlei hierfür mehrere Wochen benötigt habe, vermöge ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht die Annahme einer treuwidrigen Behinderung des Informationsflusses darzustellen.

Es sei auch nicht unredlich, eine Abteilung für Compliance einzurichten und diese mit der Ermittlung möglicher Pflichtverstöße zu beauftragen. Dies sei vielmehr sachgerecht. Es sei unbedenklich, wenn innerhalb eines Unternehmens in einer unterhalb der Geschäftsführung eingebundenen Compliance-Abteilung Aufgaben konzentriert würden. Ein sachwidriges Organisationsdefizit, etwa durch Gestaltung der Arbeitsabläufe innerhalb der Compliance-Abteilung bedürfe weiterer fallbezogene Feststellungen.

Auswirkungen auf die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht deutet an, dass es grundsätzlich zulässig ist, wenn Unternehmen Abteilungen unterhalb der Geschäftsführung einrichten, um Compliance-Verstöße aufzuklären. Die Entscheidung lässt jedoch erkennen, dass eine solche Aufklärung, wenn sie in einer fristlosen, außerordentlichen Kündigung von Mitarbeitern endet, nicht ohne zeitliche Grenzen und durch beliebige Verantwortungsdelegation „entgrenzt“ werden darf. Mit anderen Worten dürfte es problematisch sein, wenn eine Geschäftsführung nach monatelanger Untersuchung von Fakten „außen vor“ gelassen wird, nur um später die Einhaltung der kündigungsrechtlichen Zweiwochenfrist sicherstellen zu können. Andererseits dient, wie die Rechtsprechung gezeigt hat, eine genauere Untersuchung von Vorfällen durchaus auch dem Interesse des zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers, welcher durch solche Untersuchungen ja auch entlastet werden könnte.

Dr. Bert Howald
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB, Stuttgart

Kategorie: Allgemein