Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Ralf Baur berichtet über eine neue Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Gebot des fairen Verhandelns (BAG v. 24.02.2022 – 6 AZR 333/21).
1. Worum ging es in diesem Fall?
Das BAG hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Arbeitnehmerin einen von ihr abgeschlossenen Aufhebungsvertrag wegen einer Drohung und unfairen Verhandelns des Arbeitgebers für unwirksam erklären wollte.
Der Aufhebungsvertrag wurde von der Arbeitnehmerin im Rahmen eines Personalgesprächs unter Anwesenheit des Geschäftsführers und des Rechtsanwalts der Firma abgeschlossen. Der Geschäftsführer und der Rechtsanwalt hatten gegenüber der Arbeitnehmerin den Vorwurf erhoben, sie habe den Arbeitgeber getäuscht und würde fristlos gekündigt, wenn sie einen Aufhebungsantrag nicht unterzeichnet. Zudem wurde der Arbeitnehmerin mit der Erstattung einer Strafanzeige gedroht, wenn sie den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnet.
Die Möglichkeit einer Bedenkzeit und Einholung von Rechtsrat wurde der Arbeitnehmerin auf ihre Bitte hin nicht gewährt. Für den Fall, dass sie das Personalgespräch ohne Unterschrift verlässt, wurde ihr eine fristlose Kündigung angedroht.
2. Wie entscheidet das Bundesarbeitsgericht?
a)
Das BAG hat das Vorliegen einer rechtswidrigen Drohung im vorliegenden Fall verneint. Damit hatte die Arbeitnehmerin nicht die Möglichkeit, den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung anzufechten.
Es ist grundsätzlich nicht rechtswidrig, einem Arbeitnehmer mit erheblichen Nachteilen (fristloser Kündigung/Strafanzeige) zu drohen, wenn ein „verständiger“ Arbeitgeber die entsprechenden Maßnahmen (fristlose Kündigung/Strafanzeige) im konkreten Fall ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Hierfür sah das BAG im vorliegenden Fall Anhaltspunkte. Eine Drohung gegenüber Arbeitnehmern ist somit nur widerrechtlich, wenn für die Androhung von Nachteilen kein durch Tatsachen begründeter Anlass besteht.
b)
Das BAG hat weiter entschieden, dass auch nicht die Grundsätze des „Gebots des fairen Verhandelns“ verletzt waren.
Das BAG begründet die Entscheidung damit, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich die Möglichkeit hat, das Angebot des Arbeitgebers durch ein schlichtes „Nein“ abzulehnen und somit die Drucksituation zu beenden.
Die Fallkonstellation war somit vorliegend anders als in dem vom BAG am 07.02.2019 (Az. 6 AZR 75/18) entschiedenen Fall, bei dem der Aufhebungsvertrag nicht in den Geschäftsräumen des Arbeitgebers verhandelt worden ist, sondern der Arbeitgeber einen erkrankten und bettlägerigen Arbeitnehmer zu Hause in dessen Privathaushalt aufgesucht und dort unter Druck zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags bewegt hat. Nur in dieser besonderen Situation hat das BAG bisher einen Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns bejaht.
3. Auswirkungen für die Praxis
a)
Für Arbeitnehmer gilt deshalb, dass in Situationen, in denen sie einen Aufhebungsvertrag nicht unterschreiben möchten, sie dies tatsächlich auch unterlassen sollten. Von einem abgeschlossenen Aufhebungsvertrag kommt ein Arbeitnehmer nur in seltenen Fällen wieder los.
Soweit der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, einen Betriebsrat mit in ein solches Personalgespräch zu nehmen, sollte der Arbeitnehmer davon Gebrauch machen.
Auf jeden Fall sollte der Arbeitnehmer den Aufhebungsvertrag nicht ohne vorherige Prüfung durch einen Rechtsanwalt abschließen, insbesondere auch wegen der mit einem Aufhebungsvertrag einhergehenden negativen Folgen für das Arbeitslosengeld (Sperrzeit/Ruhen des Arbeitslosengeldes).
Auch wenn der Arbeitgeber keine Bedenkzeit vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags einräumen möchte, sollte sich ein Arbeitnehmer diese Bedenkzeit selbst nehmen und zunächst anwaltlichen Rat in Anspruch nehmen.
Die Erfahrung zeigt, dass in den meisten Fällen die angedrohte Strafanzeige nicht erfolgt. Im Übrigen kann auch ein abgeschlossener Aufhebungsvertrag nicht verhindern, dass ein Arbeitnehmer im Nachgang vom Arbeitgeber angezeigt wird.
Weiter zeigt sich, dass sich auch bei Ablehnung eines Aufhebungsvertrags und einer im Nachgang dazu ausgesprochenen fristlosen Kündigung in der Regel im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses für den Arbeitnehmer annehmbare Ausscheidensbedingungen verhandeln lassen, die oft besser sind als die zunächst im Aufhebungsvertrag angebotenen.
c)
Arbeitgebern gibt die Entscheidung des BAG die Möglichkeit, Arbeitnehmer auch mit Drohungen zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu bewegen und damit die rechtlichen Risiken einer Kündigung, die in einem Kündigungsschutzprozess auf ihre Rechtswirksamkeit überprüft werden kann, zu umschiffen.
Allerdings darf die Drohung nicht rechtswidrig sein. Arbeitgeber sollten deshalb vor der Führung eines entsprechenden Personalgesprächs einen im Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt konsultieren, um nicht Gefahr zu laufen, dass der Aufhebungsvertrag trotz Einhaltung des Gebots des fairen Verhandelns doch noch wegen rechtswidriger Drohung angefochten und vom Arbeitsgericht für unwirksam erklärt werden kann.
Dr. Ralf Baur
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Stuttgart